Satire

Hallo Zeitgenossen, fast könnte einer daherkommen und sagen:  „Er schreibt in eigener Sache!

Ganz so ist es nicht. Ich bilde den Nachwuchs aus. Die großen Kabarettisten von morgen; das sind die Satiriker, denn anders ist das Leben wohl kaum noch auszuhalten. Sind Sie ein potentieller Kandidat? Mit Potential?

Nur Mut!

Bedenken Sie jedoch immer ihre Motivation – weshalb Sie das alles auf sich nehmen wollen.

Wollen Sie Zusammenhänge und Fragwürdiges, also fragwürdige Zusammenhänge innerhalb unseres gesellschaftspolitischen Zusammenlebens aufzeigen oder sogar infragestellen, Denkanstöße vermitteln?

Um des Himmels Willen, dann versuchen Sie Ihr Glück in der Werbung. Dort sind Sie besser aufgehoben als in einem Buch oder bei einem mündlichen Vortrag! Gepredigt wird in der Kirche! Außerdem: Der Werbung entkommt so leicht niemand.

Als Satiriker müssen Sie Worte kneten können, aber auch Ereignisse und Personen. Nehmen Sie Kanzler Kohl (als ich das schrieb, lebte er noch!), solange es ihn gibt. Er ist einer der Wenigen in Deutschland, der an den ganzen Mist glaubt, nachdem er ihn uns eingebrockt hat. Im Ausland hasst man uns Deutsche nicht mehr. Wir werden bedauert, und das ist sein Verdienst!

Zielen Sie mit Giftpfeilen auf die Hintern der Zuhörer. Die meisten von ihnen merken es erst, wenn sie sich daheim vor die Glotze setzen. Giftpfeile werden in Ironie und bitteren Sarkasmus getränkt, bevor sie abgeschossen werden. Sie müssen sich qualifizieren.

Erwecken Sie beim Publikum oder der Leserschaft den Eindruck des Allwissenden und bauen Sie Rechtschreibfehler ein. Sie haben die Lacher auf ihrer Seite. Geben Sie sich intellektuell, denn doofe Kabarettisten gibt es nicht! Je schneller Sie sich artikulieren, desto leichter fällt es, alles durcheinander zu wursteln, ohne dass es auffällt. Man versucht Ihnen zu folgen. Das kann dauern, legen Sie nach jeder Pointe eine Klatschpause ein. Unterscheiden Sie zwischen feinsinniger Ironie und blödelndem Sarkasmus. Behaupten Sie einfach, dass 7,5 Milliarden Menschen weltweit am steigenden Wohlstand teilnehmen. Sollte jemand im Publikum aufmucken, weisen Sie darauf hin, dass kürzlich erst die Sozialhilfe aufgestockt wurde. Die Renten übrigens auch. Wer 600.-€ an Rente bezog, hat sich durch die Rentenerhöhung deutlich verbessert, denn die jährliche Inflationsrate wurde fast aufgefangen. Die meisten Lacher ernten Sie für Blödeleien, angereichert mit Sprachfehlern, rufen Sie mehrmals hintereinander „Seidenbacher“ in den Raum. Zur Not hilft Ihnen eine Operation! Vermeiden Sie Zoten! Wenden Sie diese lieber an!

Spielen Sie mit Widersprüchen bis die Zuhörer schwindelig werden und vom Stuhl fallen. Den Beifall bekommen Sie dann für die Pause, die Sie Ihnen nach einer dreiviertel Stunde gewähren. Finden Sie einen Verlag und vermeiden Sie den erhobenen Zeigefinger. Viele Zuhörer (oder Leser) haben eine schwere Kindheit gehabt. Nehmen Sie deren Macken in Pflege, das ruft ein Gefühl der Solidarität hervor. Verpacken Sie Belehrungen in schöne Fragen, die Sie an das Publikum richten. Es will beteiligt sein: „Habt Ihr sie noch alle beisammen?“ Wetten, dass sie lachen?

Kenntnisse in der Rechtschreibung sind nicht erforderlich. Sie behaupten, dass Sie in der neuen Rechtschreibung unterwegs sind. Da blicken momentan nicht alle durch! Schreiben Sie Stängel mit „ä“ und erklären Sie, dass es jetzt von „Stange“ abgeleitet wird.

Nur schreiben Sie niemals in Süterlin, weil Ihre Werke vermutlich im Goethe-Institut in China landen. Stellen Sie es sich nur vor: Eine chinesische Klasse an der Uni sagt Ihren Blödsinn im Chor auf!

Nehmen Sie bekannte Kabarettisten zum Vorbild! Imitieren Sie das Geräusch der Toilettenspülung.  Sie müssen dazu nicht Ihre Stimmbänder bemühen. Vielleicht  funktioniert das rectal besser! Bei einer kabarettistischen Darbietung gehen wir von folgender Statistik aus:

10 % Rohrkrepierer, 25% Missverständnis, 8% Spätzünder, 1% Volltreffer,6% vergessener Text. Macht zusammen 100 Prozent!

Wie? Stimmt nicht? Sehen Sie, es geht schon los!

Noch ein gutgemeinter Rat eines erfahrenen Satirikers. Die Texte müssen kurz und prägnant sein. Sie bekommen die Zuhörer so schnell nicht wieder wach, wenn diese erst einmal eingeschlafen sind. Außerdem werden Sie nicht nach „Zeilengeld“ entlohnt. Voraussichtlich werden Sie überhaupt nicht entlohnt, weil die Saalmiete alles schluckt.

Deshalb sind die Hobby-Kabarettisten auf dem Vormarsch! Außerdem seien Sie sich darüber im Klaren, dass Sie sich auf einem schlüpfrigen Gebiet innerhalb der Literatur bewegen. Sie rangieren in der Gunst des Publikums gerade vor dem Lyriker, der noch weniger Interesse beim Publikum erweckt.

Kabarettisten sterben sehr einsam und werden oft missverstanden, was auch beabsichtigt ist. Ihnen bleibt nur zu Lebzeiten der Trost, dass sie als mittelprächtige Kotzbrocken vielen Menschen tiefe Wunden geschlagen haben.

Haben Sie eine schwache Ausstrahlung? Mangelt es Ihnen an Charisma? Dann stülpen Sie sich einen Margarinekarton über den Kopf und imitieren einen Radiosender. Halten Sie sich aus öffentlichen Stellungnahmen heraus. Beachten Sie: Große Klappe nur am Schreibtisch! Schützen Sie Menschen mit anderer Meinung zu bestimmten Themen, selbst wenn Sie völlig anderer Meinung sind. Sagen Sie: „Das ist ja gar nicht sooo verkehrt, was Du sagst!“ Machen Sie dem Publikum deutlich, dass Sie nur deshalb so hämisch agieren, weil Sie sich in den Dienst der Sache stellen.

Veröffentlicht am
Kategorisiert in Satire

Von Hartmut Tettweiler Reliwette

Hartmut T. Reliwette, geb. 1943 in Berlin Maler, Bildhauer, Performer, Autor. 70 Einzel- und Gemeinschaftsausstellungen oder Performances im In- und Ausland realisiert. Zusammenarbeit mit Peter Coryllis, Joseph Beuys, Karl-Heinz Schreiber und anderen zeitgenössischen Kunstschaffenden und Autoren/Schriftstellern. Mehr über Reliwette siehe „Autoren-Info“.