Vorwort

Weshalb stellen Autoren ihren Schriftwerken ein Vorwort voran? Es sind doch mehr als nur ein Wort. Es sind ganze Sätze. Es müsste eigentlich „Vorsatz“ oder „Vorsätze“ heißen. Das hingegen führe zu Irritationen. Weshalb sollte ein Autor seine  – hoffentlich guten – Vorsätze jemandem aufdrängen wollen?

Also noch einmal:

Vorwortketten

Meine lieben Zeitgenossen,

vorliegende……. HALT! Ich bin mir gar nicht sicher, dass sie alle lieb sind. Ich vermute sogar das Gegenteil. Soll ich meine Einleitung mit einer Heuchelei beginnen? Sie, als einer der nicht lieben Zeitgenossen, würden das doch sofort merken und mich als süffisanten Speichellecker entlarven.

Nun gut, Sie wissen nicht wo ich wohne, aber immerhin! Also lasse ich die nähere Bezeichnung weg und beginne mit

Zeitgenossen!

Ja, genau! Das können Sie nicht leugnen, denn sonst wären Sie ja bereits tot! Aber Tote können auch nicht leugnen! Welch ein Widerspruch steckt bereits im ersten Gedankengang, mit welchem ich an Sie herantrete! Jetzt haben Sie mich verunsichert. Na, das fängt ja gut an! Aber wie geht „man“ mit einander um? Lassen Sie es uns miteinander  untersuchen! Sehen Sie?

Gewonnene Eindrücke aus Erlebtem, dazu gehört Gesehenes und Gehörtes, zählen wir in einer Art der Standortbestimmung zusammen. Standort? Oder Standpunkt? Ein Standort ist mal hier, mal dort, außer man ist eine hundertjährige Eiche, und ein Standpunkt ist eine nähere Bezeichnung für einen Standort, rein typografisch betrachtet.

Jedenfalls ist es spannend, Veränderungen an seiner Einstellung zum Leben festzustellen, auch wenn es zuweilen wehtut.

Große, also umfassende Veränderungen in der Gesellschaft, finden entgegen jeder euphorischen Betrachtungsweise durch Kunst und Literatur nicht statt. Jede mittelprächtige Demo mit oder ohne zivilem Ungehorsam prägt sich besser in das Bewusstsein der Menschen  ein. Je mehr Verletzte, desto intensiver der Bewusstseinszuwachs. Die Presse sorgt dafür. Sie berichtet für alle! Die Berichterstattung über künstlerische oder literarische Ereignisse erreicht nur einen Bruchteil einer Bevölkerung nach dem Motto: Zapp und weg! Man kann auch „wegswitchen“, so wie man eine Werbeeinlage im TV wegzappt, wenn sie dem Betrachter auf den Keks geht. Das muss nicht jener mit den 28 Zähnen sein, ok?

Da gibt es noch die kleine Insel der Gleichgesinnten, auf der wir Harmonie gleicher Gedanken und Empfindungen erleben können. Doch Vorsicht, auf derartigen „Inseln“ sind die Bruderschaften nicht weit, jene, die Bündnistreue geloben! Und schon bist du ein Faschist!

Doch das Wagnis lohnt sich einzugehen, auf einer der Inseln zu agieren, ohne Faschist zu sein.

Wenn wir auf diesem Planeten mit ungefähr 108.000 Kilometern in der Stunde durch das Weltall sausen, so liegt die Erkenntnis nahe, dass wir uns eine der Inseln suchen können, um uns darauf niederzulassen, denn der Planet kommt niemals irgendwo an. Seine Bewegung folgt dem Kreis, dem unsere Gedanken und Ideen nicht unterworfen sind. Sie können sich erheben und sich frei in Zeit und Raum entfalten. In diesem Sinne würde aus den eingangs erwähnten Vorsätzchen letztendlich ein Vorsatz, dem die Menschen nacheifern könnten, wenn ihnen danach zumute ist.

Ihr Hartmut T. Reliwette

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Von Hartmut Tettweiler Reliwette

Hartmut T. Reliwette, geb. 1943 in Berlin Maler, Bildhauer, Performer, Autor. 70 Einzel- und Gemeinschaftsausstellungen oder Performances im In- und Ausland realisiert. Zusammenarbeit mit Peter Coryllis, Joseph Beuys, Karl-Heinz Schreiber und anderen zeitgenössischen Kunstschaffenden und Autoren/Schriftstellern. Mehr über Reliwette siehe „Autoren-Info“.