Kopf oder Zahl

Oder doch lieber Kopf oder Bauch? Man sollte sich entscheiden – irgendwann. Was kann ich Ihnen über das Leben sagen, was Sie nicht selbst bereits herausgefunden haben? Das Leben ist eine Gutenacht-Geschichte, die ihren Anfang in der Schöpfung nahm und den Ausklang wahrscheinlich auch. Die Geschichte schreibt das Leben, meine ich, aber Sie, Sie sind der Illustrator. Mit ein wenig Übung schaffen Sie das. Ganz sicher! Jedoch:

Das Menschlein in seiner komplexen Winzigkeit behauptet sich auf diesem Planeten wie eine Made im Apfel. Wenn irgendwann der Apfel vom Baum fällt, fällt die Made mit. Beim Planeten mag das anders sein, wenn wir ihn aufgefressen haben – oder ausgehöhlt, je nach Betrachtungsweise. Der Planet Erde schwebt. Er schwebt mit oder ohne Resourcen, und die Menschen schweben mit.

Der Mensch in seiner Verletzlichkeit ist mit einer großen Klappe ausgestattet, die unentwegt eingesetzt wird, mit oder ohne Grund. Das ist ein Phänomen! Das Menschlein gibt sich selbstbewusst und furchtbar erwachsen. Besser wäre, es bliebe ein Kind, unschuldig und blauäugig, den Tieren zugewandt anstatt seinem Spiegelbild, vor dem es sich wohlfühlt. Doch die glitzernde Reflexion der äußeren Erscheinung dringt nicht bis ins Innere vor. Das ist ein Nachteil der Oberfläche, und mag diese auch noch so aufpoliert sein. Die Physik lässt sich nicht austricksen, der Mensch hingegen doch.

Dabei ist der Mensch noch nicht einmal imstande, ein winziges Sandkorn herzustellen. Er muss zur Umsetzung jeder  Erfindung auf eine Urmasse zurückgreifen, die er nicht selbst geschaffen hat. Das ist in gewisser Weise peinlich, wenn man zur Selbstüberschätzung neigt.

Davor muss man keinen Respekt haben, wohl aber darf man darüber lächeln. Oft wird darüber gestritten, wer der Intelligentere ist, anstatt den Finger zu heben: „Sucht ihr einen Dummen?“

Die meisten Aspekte, die wir dem Leben abgewinnen, vollziehen sich im Kopf, als Symbol für den Verstand, weniger als Symbol für die Nahrungsaufnahme. Natürlich vollziehen wir auch Gefühle mit dem Kopf, nennen diesen Vorgang jedoch „mit dem Bauch“, obschon der für die Nahrungsaufnahme vorgesehen ist. Eine äußerst verzwickte Sache.

Nun betritt noch der Glücksritter das Spielfeld. Der schmeißt eine Münze in die Luft und überlässt jede Entscheidung dem Zufall bzw. der Schwerkraft, der Trägheit, dem Drehmoment, dem Anstellwinkel, je nach Betrachtungsweise und Grundkenntnissen der Physik.

Was sagt der Skeptiker? Er ruft „Ogottogottogott!“ Doch wen ruft er damit an?

Bauch und Kopf sind sich selten einig. Sie kommen sich ständig in die Quere. Dabei sollte einer auf den anderen aufpassen! Nun gesellen sich auch noch die Nerven hinzu, und schon ist das Chaos komplett! Am besten ist es, den Kopf nicht zu verlieren, denn den Bauchmenschen scheint es ständig schlecht zu ergehen. Sie ziehen das Elend magisch an, wie ein Sozialarbeiter das Helfersyndrom.

„Wissen Sie, wie ich zum Bahnhof komme? „Nein, aber wir können darüber reden!“

Wir sind nicht zum Vergnügen auf diesem Planeten . Das haben die meisten von uns relativ schnell herausgefunden. Wie sollen wir uns entwickeln in unserem Bewusstsein, wenn alles glattgeht? Der Mensch braucht Höhepunkte, die sich von den Niederlagen abheben. Wenn das Schöne und Erhabene uns allgegenwärtig lullt in einem Fortgang der Behaglichkeit, ja wer könnte sich da aus der Masse hervortun?

Alles Lebende harmonisch einander zugewandt, alles gleich, jeder liebt jeden und jede gleichermaßen, kein Besitz, alles geteilt durch Milliarden. Ein grässlicher Gedanke, die Hose mit Milliarden zu teilen: „Entschuldigen Sie, ich habe in Ihre Hose gemacht!“

Stellen Sie es sich vor, dass alle Menschen die gleichen Talente besäßen, die gleiche Phantasie, gleiche Wertevorstellungen und die gleichen Liebreize.

„Darf ich Ihnen ein Stück von Chopin auf dem Flügel zu Gehör bringen?“ „Nein danke, habe ich vor zehn Minuten gerade erst gespielt. „Sie meinen doch die Mazurka?“ „Ja, was denn sonst?“

Also müssen wir verschieden sein, verschiedene Talente und Optionen auf das Leben entwickeln: Der Klassenkampf ist unvermeidbar! Mitnehmen kann keiner von uns etwas, aber zu Lebzeiten anhäufen. Die Menschen sind hervorragende Sammler, aber sie sammeln nicht alle das Gleiche: Die einen sammeln Golddukaten, die anderen Lumpen und unbezahlte Rechnungen.

Die Schöpfung ist ein Perpetuum mobile – wir Menschen nicht! Wenn Sie den ganzen Weltschmerz nicht mehr ertragen können, schalten Sie den Bauch ein, besonders, wenn er leer ist. Heulen Sie nach Herzenslust, bis keine Träne mehr kommt. Es wird zwar die Situation nicht verändern, aber es macht den Kopf frei. Gönnen Sie Ihrem Kopf eine Pause, er hat es verdient!

Meint der alte Kunstmeister mit einem Augenzwinkern.

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Kategorisiert in Satire

Von Hartmut Tettweiler Reliwette

Hartmut T. Reliwette, geb. 1943 in Berlin Maler, Bildhauer, Performer, Autor. 70 Einzel- und Gemeinschaftsausstellungen oder Performances im In- und Ausland realisiert. Zusammenarbeit mit Peter Coryllis, Joseph Beuys, Karl-Heinz Schreiber und anderen zeitgenössischen Kunstschaffenden und Autoren/Schriftstellern. Mehr über Reliwette siehe „Autoren-Info“.