Den Kleinstaat ausrufen

Den Kleinstaat ausrufen?

Das ist mal wieder typisch für uns Deutsche, uns Mitteleuropäer! Während in Russland eine Großmacht in lauter kleine Zwergstaaten zerfällt, vollziehen wir die Wiedervereinigung und darüber hinaus die EU. Da werden Bilanzen frisiert und zwei Staatsmänner rufen die neue Währung aus, den Euro, und das im Alleingang ohne Beteiligung des Land- bzw. Bundestages.  Zitat:„Wen hätte ich denn beteiligen sollen, dann wäre das doch nie zustande gekommen!“

 Wo Kohl draufsteht, muss Kohl drin sein.

Anscheinend ist es den Gedankenvätern egal, ob eine höchst inflationäre Währung unter den Schutzschirm des Euro aufgenommen wird. Früher konnte man die Lire-Scheine als Badetücher mit an den Strand nehmen.

Andererseits scheint es keine Rolle zu spielen, ob alle neuen Staatsgebilde lebensfähig sind oder nicht. Schlimmstenfalls treten sie der EU bei oder sie bekommen  ein Großkundenabonnement bei einer internationalen Hilfsorganisation. Es bleibt abzuwarten, wann der erste EU- Teilnehmer wieder abwandert. Blickt man in der Geschichte zurück, wird deutlich, dass ein solches Vorhaben ein Kommen und Gehen ist.

Jedenfalls hält das Deutsche Rote Kreuz schon einmal 50.000 Wolldecken bereit.

Das Absondern fängt bereits bei den Campingfreunden an, den Dauercampern. Jeder Zeltplatz auf Dauermiete, und sei er noch so klein, wird von einem Jägerzäunchen eingefriedet, das so niedrig ist, dass man im Dunklen darüber stolpert. Jeder Gang dieses Zelt- und Caravan – Labyrinthes  bekommt einen Namen, jeder Stellplatz eine Fahne, und als Gipfel dieser Scheinsouveränität: Der eigene Rasenmäher mit Zweiradantrieb und drei Gängen für sechs Quadratmeter Leihgrund. In den Zelten, Vorzelten und Caravans muss natürlich nicht gemäht werden.

Mich hat die Entwicklung dieser Souveränitätsanstrengungen misstrauisch werden lassen.

Ich kann doch niemandem mehr trauen! Ängstlich luge ich nach links, misstrauisch spähe ich nach rechts. Nicht, dass ich zufällig in eine Fünfergruppe gerate, die soeben den Kleinstaat ausrufen will! Stellen Sie es sich vor: Sie gehen in den Supermarkt, um sich eine Kiste Bier zu erstehen und sind auf dem Rückweg ihre Staatsbürgerschaft los! Nicht auszudenken!

Ihr Führerschein gilt nicht mehr, und auch die paar Münzen in Ihrer Tasche haben ihre Gültigkeit verloren. Am Ende des Parkplatzes kontrolliert ein Zollbeamter mit roter Mütze Ihren Einkauf!

Das macht doch unsicher, nicht wahr?

Sie kommen nach Hause. Aus Ihrer Wohnung ist das neue Gemeindehaus geworden, und aus dem Schornstein quillt weißer Rauch, weil sich der neue Vatikan im Obergeschoss breitgemacht hat. Auf dem Weg zur Waschküche begegnet Ihnen der Papst, der Sie milde anlächelt.

Da ist inzwischen mediadisiert worden, saecularisiert, ocupiert und onduliert, das ganze Programm der Erneuerung und Regelung der Besitzverhältnisse.

Jedenfalls wären Sie der Gelackmeierte, soviel ist sicher

In Ihrem Auto sitzt ein Fremder, der behauptet, dass er ein neues Taxiunternehmen gegründet hat

Verstehen Sie jetzt, wovor ich mich fürchte? Früher konnten wir der nächsten zehn Jahre noch sicher sein. Aber heute? Der Zeitenlauf mit seinen Geschehnissen wird immer unberechenbarer!

Seit dem weltweiten Bau der Atomwaffen schaue ich jeden Morgen aus dem Fenster und vergewissere  mich, ob das Haus vom Nachbarn noch steht.

Früher war ein Jahr noch ein Jahr, aber heute?

Wer glaubt, dass die Kleinstaatenbildung , uns vor Machtkämpfen schützt, wird eines Besseren belehrt. Andererseits vollziehen sich diese unbeliebten Possenspielchen auch in der EU. Warten Sie es nur ab!

Aus all diesen Überlegungen heraus habe ich in Erwägung gezogen, meinen kleinen Grundbesitz samt Scheune in Ostfriesland zu befestigen. Als Vorbild dient mir die Maginot-Linie der Franzosen. Zunächst sollen Sandsäcke entlang meiner Grundstücksgrenze aufgeschichtet werden. Den Sand entnähme ich den Geländeabspülungen im Süden der Insel Sylt.

Über die Fluchten der Sandsäcke wäre eine Dreifachrolle Nato – Draht zu ziehen. Kennen Sie „Blanch Blade“ , kleine Hellebarden, die irgendwann zu rosten beginnen? Erst dann werden sie richtig wirksam. Ja.ja, wenn man Menschen richtig verletzen will, muss man sich auskennen. Überall auf der Welt werden Menschen mit Blanch Blade verletzt. Viele Betrachter der Szenerien finden nichts dabei. Weshalb rennen die Flüchtlinge auch da rein? Das lesen Sie nicht gerne? Sehen Sie! Ich habe Sie erwischt!

 Jedenfalls käme die erste Panzersperre in die Grundstückseinfahrt. Alle fünfzig Meter würde ein Wachturm errichtet, mit je einem Maschinengewehr bestückt. Die gesamte Familie müsste abwechselnd  Nachtwache halten. Mit meinen achtzehn Kindern dürfte das kein Problem darstellen.

Ich halte viel von Fallgruben mit hungrigen Krokodilen darin. Die kleinen Nager sind aus Restbeständen eines bankrotten Zoos zu beschaffen.

Eine Fahne habe ich bereits entworfen: Ein Totenschädel mit gekreuztem Knochenbein auf schwarzem Grund. Weshalb lange drum herum flaggen? Ich würde allen die Knochen zeigen.

Will uns jemand besuchen, was ich mir beim besten Willen nicht vorstellen kann, so bekäme der Besuch selbstverständlich Geleitschutz durch eine unserer Fregatten.

Wenn ich zur Bank muss, um mein Gehalt abzuholen, benutze ich natürlich einen Tunnel. Der wäre selbstverständlich auch durch Fallgruben gesichert. Vorsichtshalber ließe ich mir ein paar Krokodile mehr anliefern.

Es ist immer gut, ein paar Krokodile mehr im Haus zu haben. Die Fütterung  würde per Gesetzesentwürfe erfolgen. Sie können es sich vorstellen, wie aggressiv die Tiere davon würden.

Wie ist es Zeitgenossen? Noch Bock auf Kleinstaat?

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Kategorisiert in Satire

Von Hartmut Tettweiler Reliwette

Hartmut T. Reliwette, geb. 1943 in Berlin Maler, Bildhauer, Performer, Autor. 70 Einzel- und Gemeinschaftsausstellungen oder Performances im In- und Ausland realisiert. Zusammenarbeit mit Peter Coryllis, Joseph Beuys, Karl-Heinz Schreiber und anderen zeitgenössischen Kunstschaffenden und Autoren/Schriftstellern. Mehr über Reliwette siehe „Autoren-Info“.