Dazugehören

Max-August war im Laufe der Zeit in die Jahre gekommen. Zeit seines Lebens litt er unter seinem Doppelnamen. Was hatte er verbrochen, dass ihn seine Namensgeber damit ein Leben lang bestraften? Er fühlte sich mehr und mehr von der Gesellschaft ausgegrenzt, in der er seit seiner Geburt lebte. Er beschloss, sich anzupassen und zu einem mittelprächtigen Anus zu konvertieren.

Er begann den Wechsel in seine persönliche Wesensänderung sehr vorsichtig und mit Bedacht. Seiner Umgebung würde es nicht auffallen, dachte sich Max-August, wenn es schrittweise geschähe.

Als erstes besuchte er nach langer Zeit seinen Onkel Fritz-Frieder, den Bruder seines Vaters, in seiner Wohnung am anderen Ende der Stadt. Fritz-Frieder hatte seinerzeit bei der Waffen-SS gedient. Diesem wollte er, wenn er mal wieder im Sessel eingeschlafen war, die Glatze mit Spucke polieren. Nach den ersten hektischen Wortwechseln zwischen den beiden, schlief der Onkel nach dem Genuss von sechs Flaschen Bier endlich ein.

So konnte sein Neffe sein Vorhaben schließlich durchführen. Nach der Tat fühlte sich Max-August erleichtert. Ein Glücksgefühl durchströmte seinen Körper, vom Kopfe ausgehend bis in den kleinen Zeh.

In den nächsten Tagen nahm er sich vor, zum Beweger zu werden. Während der Fahrt zum Discounter betätigte er den Blinker nach rechts, bog aber im letzten Moment nach links ab. Das künftig immer zu tun, bzw. überhaupt nicht zu blinken, rechtfertigte er mit dem Hinweis auf datenschutzrechtliche Maßregeln.

Ein solches Verhalten sollte nur der Anfang seiner Metamorphose sein. Er begann damit, Schwachsinn mit schwachsinnigen Argumenten zu begründen und lobte seine neu entwickelte Argumentationskette. Sie fiel in der Umgebung nicht sonderlich auf. Er fand sich im Mainstream wieder.

Wenn er nach einiger Zeit die Seiten völlig gewechselt hätte, würde er künftig morgens beim Dackel-Club-Treff die Anwesenden mit dem deutschen Gruß beglücken.

Seine Vorliebe galt dem Bügeln. Dieses Talent musste er von einem seiner Vorfahren geerbt haben, denn einer seiner Urahnen war Tuchmacher, ein anderer Richter. Wahrscheinlich hat das Auswirkungen auf seine DNA gehabt, die demzufolge durcheinander geraten war.

Seit einiger Zeit bügelte er auch Tempo-Taschentücher, vorerst aber vor dem Gebrauch. Hitze tötet Bakterien und Viren ab. Er stellte das Bügelwerkzeug deshalb auf die höchste Stufe! Der Werkstoff verfärbte sich daraufhin braun. Er erzählte allen, die ihn deshalb ansprachen, dass bei ihm nur recycelte Ware Verwendung erfahre.

Nach einigen Wochen, war Max-August sicherer im Umgang mit seinen Mitmenschen. Es kam vor, dass ihn wildfremde Menschen dazu ermunterten, in die Politik zu gehen. Eine entsprechende Partei wurde ihm auch nahegelegt. „Wenn ich gebraucht werde, bin ich jederzeit zur Stelle“, hatte er versprochen.

Eines Tages geriet er mit einem älteren Herrn in ein Streitgespräch. Es ging um nichts, wie er meinte. Sein Gegenüber fragte: „Weshalb lassen Sie mich nicht ausreden?“ Und Max-August: „Was Sie mit 1050 Sätzen sagen wollen, ist mir längst bekannt. Es ist falsch!“

„Aber Sie wissen doch gar nicht, wie meine Argumentationskette ausgeht?“ Max-August: „Falsch!“ „Inwiefern?“ „Weil die Kettenglieder nicht zueinander passen, deshalb!“

„Eine Realität plus eine Realität ergibt zwei Realitäten!“ „Ja, ja, aber wenn eine der beiden Realitäten keine ist, stimmt die Summe nicht! Es ergeben sich zwei Aussagen, das ist richtig, aber keine zwei Realitäten“, belehrte ihn Max-August. „Da stimmt nur die Tara, nicht aber das Netto! Ich habe keine Lust, über Tara zu verhandeln, dazu ist das Leben zu kurz! Haben Sie keinen Friseur, dem sie die (Schimpfwort !) erzählen können?“

Diese sich wiederholende Vorgehensweise hatte sich im Dorf herumgesprochen. Keiner wollte mehr mit Max-August diskutieren. Genau das hatte er beabsichtigt. Hinter seinem Rücken wurde gemunkelt: „Ein selten arroganter Anus! Er ist keiner von uns!“

Das hatte auch seinen Vorteil! Betrat er ein Restaurant oder ein Café, standen alle auf und gingen. Max-August bekam immer einen Platz, „seinen Platz“, wie er es nannte. Nur in der Straßenbahn oder im Autobus stand niemand auf! „Verzogene Jugend“, schimpfte er.

„Passt mal auf, ihr Ani: wenn hier ein super alter Anus auf der Bildfläche erscheint, habt ihr gefälligst aufzustehen und ihm einen Sitzplatz anzubieten!“ Tz, nicht zu fassen, diese Ani von heute! Ich verstehe überhaupt nicht, wie ich die Seiten wechseln konnte. So, wie es sich darstellt, ist es auch nicht das Gelbe vom Ei!“

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Kategorisiert in Satire

Von Hartmut Tettweiler Reliwette

Hartmut T. Reliwette, geb. 1943 in Berlin Maler, Bildhauer, Performer, Autor. 70 Einzel- und Gemeinschaftsausstellungen oder Performances im In- und Ausland realisiert. Zusammenarbeit mit Peter Coryllis, Joseph Beuys, Karl-Heinz Schreiber und anderen zeitgenössischen Kunstschaffenden und Autoren/Schriftstellern. Mehr über Reliwette siehe „Autoren-Info“.