Balgerei auf der Cara Mia

Was dem einen sein Holzbein – ist dem anderen sein Glasauge

 

Nun lag die Cara Mia bereits seit drei Wochen im Leeraner Hafenbecken. Das Interesse der Bevölkerung an den lieben Piraten hatte nachgelassen. Den angeschimmelten Tee wollte auch niemand kaufen. Hornblewer ließ die 14 Kisten Darjeeling-Tee nachts einfach im Hafengewässer „verklappen“. Keiner hatte etwas bemerkt. Spaziergänger wunderten sich über den muffigen Geruch, der sich seitdem über dem Hafengelände breit machte. Im Rathaus schüttelten die Gemeinderatsmitglieder ihre Köpfe, nachdem ein Gutachten bei einem Unternehmen in Auftrag gegeben worden war, das es hätte herausfinden sollen. Besser hätte man den Piratenkapitän Hornblewer fragen sollen: es wäre billiger gekommen.

Jedenfalls bekam es die Piratenmannschaft mit der Langeweile zu tun. Hornblewer wusste, dass dies gar nicht gut für die Moral der Männer bestellt war. Er besann sich auf ein geeignetes Mittel, um dies abzuwenden und berief wieder einmal eine Mannschaftssitzung ein. Das tat er immer, wenn er Befehle erteilen wollte, ohne den Bootsmann zwischenzuschalten.. Also traf man sich wie üblich im „Speisesaloon“ des Schiffes. Nun weiß ja jedes kleine Kind, dass ein Speisesaal auch „Mensa“ genannt wird, was lateinisch ist und „Tisch“ bedeutet. Allerdings war es ein sehr langer Tisch, an welchem die Piratenmannschaft Platz nahm.

Tagesordnungspunkt war der Umstand, dass die Piratenmannschaft herumgammelte anstatt sich nützlich zu machen. Deshalb bat Hornblewer um Wortmeldungen zu dieser Tatsache. Der Bootsmann meldete sich mit Handzeichen. „Was gibt`s , Boot“, fragte Hornblewer? „Das Tauwerk müsste nachgesehen werden, der Anker entrostet und das Deck geschrubbt werden“. empfahl „Boot“. Dankbar griff der Piratenkapitän diese Empfehlung auf: „Ihr habt es gehört, Männer, aber dass mir niemand dabei an das Rumfass geht! Geschrubbt wird mit Wasser, aber nicht mit Rum!“ Das Ende der Sitzung erfolgte durch Hornblewers lauten Befehl „Ausführung!“ Murrend und knurrend begaben sich die Piraten auf das Oberdeck. „Wo ist die Wasserausgabe“, stichelte einer der Piraten und zog dabei den Kopf ein. „Im Hafenbecken“, schrie „Boot“, der Bootsmann.
„Ich lasse dich gleich kalfatern, sobald ich rausgekriegt habe, wer da gerufen hat!“ (Kalfatern bezeichnet das Eintreiben von Hanfseil“ oder „Werg“ in die Fuge   zweier Außenplanken eines Schiffes, bevor diese mit Pech eingestrichen wird. Beim Menschen müsste dieser Vorgang sehr schmerzhaft sein ).
Bald darauf ging die Schrubberei los. Das vollzog sich kniend und zwar mit „Wurzelbürsten“ und Knochenseife. Ein farbiger Pirat war mit seiner Bürste dem Onnen in die Quere gekommen, was diesen aggressiv stimmte. „Pass auf, wo du hinbürstest, Holzauge“, bellte er seinen Kumpanen an. Der konterte sofort mit „besser ein Holzauge als ein Glasauge mit Sprung!“ „Waaaas?“ Es ging verbal hin und her: “So doof wie du bin ich schon lange“ und: „wenn du glaubst, du hättest einen Verrückten vor dir, bist du bei mir aber gerade richtig!“ Das gipfelte dann in völliger Selbstüberbewertung wie „alle Welt kennt mich!“ und „mir kann keiner!“
Als es nichts mehr zu steigern gab, fiel dem farbigen Piraten ein, sein Holzbein zu bewerten: „Ich habe aber drei Kerben in meinem Holzbein, bätsch!“ Onnen konterte sofort: „Ich habe auch drei Kerben und dazu noch einen eingebrannten Mercedes Stern!“
„Meines ist aber aus Mahagoni, ätschi bätschi!“ „Und meins aus Makkaroni, böööööööh!“
Die übrigen Piraten hatten das mitgekriegt und begannen Partei zu ergreifen. Sie umringten die beiden Streitlustigen. „Hau ihm mit der „Maschpe“ auf die „Pompfe“ ( mit der Keule auf den Kopf)!“ rief einer. Ein anderer hetzte mit der Aufforderung: „Kratz ihm das Holzauge aus!“ Bald darauf fingen die Piraten an, auf den vermeintlichen Sieger zu wetten. Es drohte eine echte Keilerei. Da hatte der etwas kleinere Onnen eine gute Idee, mit heiler Haut der Situation zu entkommen.

Während einer der Piraten den Buchmacher spielte und Wetteinsätze kassierte, rief Onnen mit lauter Stimme: „Ich habe hier eine Wurzelbürste zu versteigern, wer bietet mehr?“. Und damit hatte Onnen auf das richtige Pferd gesetzt, denn die Piraten hatten in ihrem Wetteifer gar nicht mitbekommen, dass sie nicht mehr auf einen Sieger wetteten, sondern auf eine Wurzelbürste, die Onnen noch nicht einmal gehörte.

So ist das Gerücht entstanden, dass mit dieser Methode unter anderem auch an der Börse gezockt wird,

Von Hartmut Tettweiler Reliwette

Hartmut T. Reliwette, geb. 1943 in Berlin Maler, Bildhauer, Performer, Autor. 70 Einzel- und Gemeinschaftsausstellungen oder Performances im In- und Ausland realisiert. Zusammenarbeit mit Peter Coryllis, Joseph Beuys, Karl-Heinz Schreiber und anderen zeitgenössischen Kunstschaffenden und Autoren/Schriftstellern. Mehr über Reliwette siehe „Autoren-Info“.